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  • AutorenbildHorst Eisterer

Offenes Schreiben an Stadtrat Dr. André Odermatt vom 20.01.2022

Aktualisiert: 6. Feb. 2022

Zürich, 20. Januar 2022

Verdichtung mittels Hochhäusern. Moratorium Abbruch städtischer Wohnsiedlungen

Sehr geehrter Herr Stadtrat Dr. Odermatt


1.Im Hochbaudepartement, insbesondere im Amt für Städtebau, wird unsere Kritik am Hochhauswildwuchs an willkürlichen Standorten in Zürich nicht ernst genommen. Das Amt für Städtebau erschwert eine sachliche Diskussion über die städtebauliche Entwicklung Zürichs und die Auswirkungen des Hochhaushype mit dem Hinweis, alle Projekte seien rechtens, geprüft und bewilligt worden.


Unsere Vorschläge vor vier Jahren, Hochhäuser nach einer damals vorgelegten Checkliste untersuchen zu lassen, blieben unberücksichtigt. Diese Untersuchung wäre geeignet gewesen, die sozialen, demographischen, technischen, ökonomischen und ökologischen Merkmale des Wohnhochhausbaues klarzustellen, im Vergleich zu Beispielen aus dem verdichteten Flachbau. Damit hätte auch der Mythos in Frage gestellt werden können, es brauche in Zürich Hochhäuser und sie seien ein «qualitätsvoller Beitrag zur Stadtentwicklung».


2. An Stelle einer umfassenden städtebaulichen Betrachtung wurde im Amt für Städtebau ab 2019 eine Testplanung zur Überarbeitung der Hochhausrichtlinien initiiert, was u.E. dem Hochhausbau ein viel zu grosses und einseitiges Gewicht einräumt. Es versteht sich, dass Architekten-Teams, die sich für eine Hochhaus-Testplanung bewerben, gerne Hochhäuser bauen wollen. Weil für diese Teams und noch mehr für das Beurteilungsgremium keine zu Hochhäusern kritisch eingestellten und weltweit anerkannten Städtebauer, Human- und Umweltwissenschaftler beigezogen wurden, ist eine einseitige, für das Wohnhochhaus werbendes Resultat zu erwarten, was dem Ansehen und der baulichen Entwicklung unserer Stadt schadet.


Es stellen sich Fragen wie


- Warum wird die Öffentlichkeit von der «Testplanung Hochhausrichtlinien» ausgeschlossen, zumal die Schlussfassung seit Dezember 2020 datiert ist? Vor der Abstimmung zum Kommunalen Siedlungsrichtplan am 28.11.2021 hätte die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse gehabt, den Inhalt dieser Broschüre über die Hochhausentwicklung zu kennen.


- Warum unterdrückt das AfS mit diesem Verhalten eine öffentliche Auseinandersetzung und Diskussion über Städtebau und Verdichtung? Zu den Hearings der Testplanung ist jeweils nur eine erlesene Gästeschar eingeladen. (Das grosse Interesse und Engagement der asaz war Ihnen bekannt.)


- Warum wird privaten Investoren vom Baukollegium eine weit über der BZO liegende extreme Verdichtung empfohlen - und warum geschieht dies hinter dem Rücken der Bevölkerung im betroffenen Quartier? Die Nachbarschaft und der Quartierverein wurden z.B. beim Areal Heinrichstrasse nach dem Architekturwettbewerb vor vollendete Tatsachen gestellt.


Wir haben andere Vorstellungen von bürgernaher, transparenter und demokratischer Politik.


3. Die aus unserer Sicht gravierendsten Probleme fasst ein schriftlich formulierter Vortrag vom 11.9.2021, WIE WOHNEN UND VERDICHTEN? zusammen:

2021-09-11-PP-Referat-Verdichtung+Hochhaus-QV5Industrie_DEF 3
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Besonders leiden wir darunter, dass alle unsere - vor allem auf fachliche und humanwissenschaftliche Literatur abgestützten Argumente gegen Hochhäuser und Überverdichtung - die wir dem Amt für Städtebau schon am Anfang der Testplanung in schriftlicher Form einreichten - ignoriert und unwiderlegt blieben.


Weil man sich im Amt für Städtebau vom Hochhausbau viel verspricht, wurde die Forschung und Entwicklung eines Hochhaustypus in Modulbauweise aus «Holz» (MODUL 17), unter der Leitung von Prof. Peter Schwehr an der Hochschule Luzern, seitens des HBD finanziell unterstützt. Die für Sie wohl unerwarteten Schlüsse, die Herr Schwehr aus seiner Forschung zieht, beeindrucken weder die hochhaustreibenden Fachleute Ihres Amtes noch die vom Hochhausbau faszinierten Architekten:


«Ein Hochhaus ist eine teure Bauform, die kaum einen Beitrag zum kostengünstigen Wohnen leisten kann. Der Blick nach draussen mag vielleicht den Aufwand wert sein, aber nur dann, wenn man genug verdient und nicht andere Hochhäuser einem den Blick zustellen.... Mehr Baumasse für Privilegierte also, aber keine Verdichtung.» ... Zur Soziologie: «Hochhäuser schaffen Hierarchien»

Wir beziehen uns weiter auf andere Publikationen, die unter der Leitung von Prof. Schwehr publiziert wurden. Diese Arbeiten setzen die Tradition des verdichteten Flachbaues mit 4 bis 5 Geschossen fort, wie sie viele Städtebauer und Wohnbauarchitekten umsetzten. Sie entsprechen den wirklichen Wohnbedürfnissen der Menschen mehr als «Wohnsilos». Bodenkratzer statt Wolkenkratzer! (Nach seriösen Befragungen wünschen nur 4% der Menschen in Hochhäusern zu wohnen. Aus suggestiven Befragungen von ZIMRAUM , z.B. «ob man sich vorstellen könne, in einem Hochhaus zu wohnen» wird irreführend abgeleitet, etwa die Hälfte der Menschen «wünsche» in Hochhäusern zu wohnen.)


Wir bitten Sie aus diesen Gründen, den dem Wohnhochhaus in vielerlei Hinsicht überlegenen preisgünstigen verdichteten Flachbau und das zirkuläre Bauen weiter zu erforschen und evtl. auch mittels eines Merkblattes zu fördern. Wohnhochhäuser haben allerdings zwei Vorteile: Die gute Aussicht (wenn diese nicht durch andere Hochhäuser verstellt wird) und sie versprechen Investoren mit jedem zusätzlichen Geschoss eine steigende Rendite. Für den grössten Teil der Stadtbewohner:innen haben sie unwiderlegbare Nachteile, insbesondere im Hinblick auf stadträumliche Qualitäten, die Lebens- und Wohnqualitäten, soziale Durchmischung, grössere Umweltbelastung, die Klimabelastung, Schattenwurf, Fallwinde, usf.


Wir verfolgen auch mit grösster Sorge, wie das AfS mit Unterstützung des Baukollegiums ohne Einbezug der Anwohnerschaft auf einzelnen Arealen die Dichte gegenüber dem Maximum des Bau- und Zonenplanes hochtreibt, sogar beinahe verdoppelt, was den Hochhausbau erzwingt. Warum bleiben die nachteiligen Folgen dieser Überverdichtung auf die Menschen und die Nachbarschaft unbeachtet? Das Amt für Städtebau resp. Frau Gügler liess zwar in der P.S.-Zeitung vom 13.03.2020 verlauten, «Hochhäuser sind nicht zur Verdichtung gedacht». Wie redlich ist diese Aussage, wenn das Gegenteil praktiziert wird? Das vom Hochbaudepartement gut gemeinte und geförderte Overcrowding ist durch im Rahmen der Mehrwertabschöpfung ausgehandelte preisgünstige Wohnungen nicht gerechtfertigt. Eine Suppe mit den besten Zutaten wird durch zu viel Salz ungeniessbar.


Sie müssen damit rechnen, dass sich die Nachbarschaften und die Betroffenen über die allzu grosszügige und ungehemmte Auslegung des §284 PBG Ihres Amtes und die damit verbundene Drangsalierung und Benachteiligung vor Gericht gehen, und diese Gestaltungspläne als Instrument massloser extremer Verdichtung ablehnt. Rechnen Sie schon im Voraus damit, dass sich weniger Betuchte aufwändige Prozesse nicht leisten können?


4. Das grosse Potenzial des Bausektors, der mit gegen 40% am CO2-Ausstoss beteiligt ist, betrifft in besonderer Weise das Baudepartement, in welchem wir das überlebensnotwendige Umdenken und die Bauwende immer noch vermissen: Städtische Wohnsiedlungen - eine nach der anderen - werden abgerissen. (Auf der städtischen Website sind sieben Wohnsiedlungen betroffen, welche durch Wettbewerbsvorgaben Ihres Amtes zerstört werden.)


Durch die Zerstörung gesunder Grundsubstanz und Neubau wird unnötigerweise enorm viel CO2 ausgestoßen. Deshalb fordern alle aufgeklärten und umweltengagierten Fachverbände ein transformatorisches und zirkuläres Bauen und eine Um-Bauordnung, welche den Ersatzbau nur ausnahmsweise zulässt. (Wir nehmen diesbezüglich mit Genugtuung von den Vorstössen einzelner Mitglieder des Gemeinderates Kenntnis, den Ersatzbau möglichst ganz zu vermeiden.)


Beispiele ungerechtfertigter Substanzzerstörung sind die Wohnsiedlungen „Salzweg” und «Hardau». Die Stadt müsste eigentlich eine Vorbild sein. Es ist tragisch genug, wenn private Anleger wie z.B. bei der Siedlung «Buchholz» in Witikon 59 günstige Wohnungen abbrechen und ein prächtiger Park auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung (mit grossen Bäumen) zerstört wird.


So wie jetzt darf es auf unseren Baustellen im Hinblick auf die Klimaerwärmung nicht weitergehen. Deshalb müssen sofort dringendst Massnahmen zur Unterstützung der Klimaziele ergriffen werden.

Wir bitten Sie, ab sofort per Notrecht ein Moratorium resp. einen Aufschub von beschlossenem Abbruch von stadteigenen Wohnsiedlungen zu verfügen. Fehler machen ist menschlich, auf Fehlern zu beharren, diabolisch!

Die Entscheidungen von heute und der allernächsten Zeit werden die Lebensqualität der Menschen in unserer Stadt auf Jahrzehnte hinaus prägen und sind deshalb von grösster Bedeutung auch zur Einhaltung der Klimaziele.


Wir sind uns bewusst, dass unsere Stellungnahme etwas ausführlich ist und als Zumutung empfunden werden könnte. Das bitten wir Sie zu entschuldigen. Vielleicht dürfen wir mit Ihrem Verständnis schon deshalb rechnen, als wir uns unabhängig, engagiert und absolut uneigennützig für eine gute bauliche Weiterentwicklung unserer Stadt einsetzen.


Danke für Ihre Geduld und freundliche Grüsse,

Horst Eisterer

Mitglied der Arbeitsgruppe Städtebau+Architektur Zürich .


p.s.:

Unsere Arbeitsgruppe asaz ist politisch neutral und einzelne Teilnehmer (Planer, Architekten) befassen sich seit Jahrzehnten mit Behausungsfragen, Städte- und Wohnungsbau. Wie Sie gerne feststellen können, stützen wir uns nicht auf Meinungen ab, sondern auf belegte Erkenntnisse und Äusserungen international anerkannter Fachleute und Humanwissenschaftler.

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